gastbeitrag: Micha Will – Street Facetten

Kennengelernt haben wir Micha auf einem Streetwalk von uns. Die Begeisterung für die Fotografie und die Marke Leica war sofort bemerkbar und ansteckend. Wer sich davon überzeugen will, dem sei der Leica Enthusiast Podcast von Michel Birnbacher empfohlen, bei dem Micha mehrmals zu Gast war. Seitdem halten wir guten Kontakt mit dem äußerst sympathischen Micha. Wir freuen uns auf weitere Begegnungen und tolle facettenreiche Fotos von dir. Der Blog gehört dir lieber Micha


Street Facetten

März 2022. Es ist ein kalter, trister Tag. Der Himmel grau und ohne Zeichnung. Vermutlich hätte ich an diesem Tag das Haus nicht verlassen, doch ich bin mit Gerald vom Nürnberg Unposed Kollektiv verabredet.
Seit ich 2 Jahre alt bin lebe ich in Nürnberg und trotzdem verwechsele ich das Neue Museum mit dem neu gebauten Deutschen Museum. So passiert es, dass ich verspätet zum Treffpunkt komme. Verdammt!

Nürnberg Unposed steht für Street Photography. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich mit dem Begriff nicht wirklich was anfangen. Was ist Street Photography? Was macht man da? Muss man auf etwas bestimmtes achten? Ich fotografiere schon lange, aber das stellte mich vor eine neue Herausforderung.

Dabei halte ich nicht das erste Mal eine Kamera in der Hand.
Das erste Mal, dass ich wirklich bewusst fotografiert habe, ist etwa 15 Jahre her. Ich lief mit einer geliehenen Pentax DSLR durch Nürnberg und fotografierte alles, was mir vor die Linse kam. Gebäude, Spaziergänger, Baggerschaufeln. Damals habe ich mir keinen Gedanken gemacht, wie sich das wohl nennt, was ich da mache. Vermutlich war es aber das erste Mal, dass ich so etwas wie Street Photography betrieben habe.

Das war sozusagen der Anfang meiner fotografischen Reise.

Foto: Micha Will

In einer Zeit, noch vor der Einführung von Instagram in Deutschland, hat man sich überwiegend auf „FotoCommunity.de“ herumgetrieben. Dort kontaktierte mich eine lokale Fotoagentur und fragte, ob ich nicht Lust hätte für sie Konzerte zu fotografieren. Da ich sehr Musik affin bin, war das natürlich perfekt für mich. So trieb ich mich mit der Pentax und einer EOS 300D auf Konzerten herum. Die Übung war nicht einfach und die Bilder mitunter sehr verrauscht. Aber eines fand ich dabei schnell heraus: Ich mag das Unvorhersehbare. Situationen die sich nicht stellen lassen. Momente, die geschehen und welche man verpasst, wenn man zu langsam ist.

Da diese Agentur auch gelegentlich Sportevents coverte, allen voran Fußball, fand ich mich kurze Zeit später in der Sportfotografie wieder. Eine aufregende Zeit! Eine Mischung aus Vorbereitung, Routine und zahlreichen spontanen Momenten. Nach einigen Agenturwechseln fand ich mich als Springer bei einer internationalen Fotoagentur wieder. Zehn Jahre mit Bundesliga, Basketball, Eishockey, Playoffs, Meisterschaftsfeiern. Mit Schweiß, Sekt, Bier und Konfetti verklebtes Kameraequipment. Es war alles dabei. Auch der Moment, als mir auf einer Aufstiegsfeier ein Spieler das vollgefüllte, übergroße Weißbierglas über meine offene Brusttasche schüttete, in der sich in bester Sportfotografen-Manier alle Objektive ohne Rückdeckel befanden, um sie schnell wechseln zu können. Wie gesagt, es war ereignisreich.

Foto: Micha Will

Das ständige auf Achse sein hinterließ jedoch seine Spuren. Oft kam es vor, dass ein Wochenende mit Familien und Freunden spontan gegen die Arbeit eingetauscht werden musste und so entschied ich mich nach einem gerade noch so abgewendeten Burn-Out, einigen familiären Schicksalsschlägen und dem Kennenlernen meiner heutigen Frau, die berufliche Fotografie abzulegen. Mit dieser auch das komplette Equipment. Mir war klar, dass ich im Alltag weder die schweren Profi-Kameragehäuse noch die Objektive „mal eben so“ mitnehmen werde.

Es vergingen einige Jahre ohne „gutes“ Equipment, bis ich vor etwas mehr als einem Jahr zur Leica Q2 kam. Mit ihr entdeckte eine alte Bekannte wieder.
Die Leidenschaft in meiner Freizeit zu fotografieren. Völlig ohne Termindruck, oder lange Vorbereitung. Ohne stundenlange Autofahrt, oder dem Muss im strömenden Regen auszuharren.

Da stehe ich nun neben Gerald und Samuel und ein paar anderen. Völlig unwissend was mich erwartet. Mit einem Schmunzeln im Gesicht nimmt man mir meine Verspätung nicht übel und wir starten gemeinsam zu einem Spaziergang durch den Nürnberger Osten.

So etwas habe ich schon lange nicht mehr gemacht. Gemeinsam mit anderen Fotografinnen und Fotografen spazieren und fotografieren. Das merke ich vor allem daran, wie schwer es mir fällt „einfach so“ auf den Auslöser zu drücken, wenn andere dabei sind. Beim Sport fielen mir die Momente quasi in den Schoss und sonst war ich immer allein unterwegs.

Bei der Street Photography fällt mir das gerade nicht ganz so einfach. Klar gibt es die lauten Momente, die den Blick auf sich ziehen und durch einen Druck auf den Auslöser nur noch festhalten muss. Oft besteht Street Photography aber aus dem Lesen der Alltäglichkeit. Dem Finden der Motive. Wer sucht hat schon verloren.

Ich beobachte, wie meine Begleiter immer mal wieder auf den Auslöser drücken. Manchmal ärgere ich mich, dass ich „es“ nicht auch gesehen habe. Manchmal kann ich gar nicht nachvollziehen was sie gesehen haben.

Erst im Nachhinein, beim Betrachten ihrer Bilder sehe ich das, was sie gesehen haben. Viele großartige Bilder, viele gut erkannte Motive.

Das ist der Moment, in dem mir gleich mehrere Dinge bewusst werden:
⦁ Obwohl wir alle an den gleichen Motiven vorbeigelaufen sind, haben wir alle Unterschiedliches gesehen.
Kein Bild gleicht dem anderen.
⦁ Selbst wenn ich diese Motive gesehen hätte, ich hätte nicht jedes fotografiert.
⦁ Es gibt kein Falsch oder Richtig. Es zählt was deinem Auge gefällt.

Mit dieser Erkenntnis löst sich ein großer Knoten in meiner Brust.

Street Photography ist facettenreich. Es gibt keine Pflichtmomente. Es ist nicht so schlimm, wenn man einen Moment verpasst. Es wird einem nicht zur Last wie die rote Karte, die Lionel Messi vom Spielfeld verweist. Sie reicht vom Festhalten und Dokumentieren eines einzigartigen Moments bis hin zur bewussten Komposition eines Motivs.
Sie kann beim Vorbeilaufen geschehen, oder indem man an einem Punkt verweilt, um genau ein bestimmtes Motiv anzufertigen.

Wir alle sehen unterschiedlich. Manche sind gerne näher an den Menschen, manche mögen gestochen scharfe Bilder, manche mögen es verwaschen, andere wiederum arbeiten gerne mit Color Matching. Ob mit 28, 35 oder 50 Millimeter Objektiv. Es gibt nahezu unendliche Chancen wie Street Photography gelebt werden kann.

Foto: Micha Will

So habe ich festgestellt, dass ich ein Fable für Linien, Formen und starke Kontraste habe. Ich spiele gerne mit (A)Symmetrie und ich liebe es im Dunkeln zu fotografieren. Für mich bedeutet Street Photography das Festhalten urbaner Momente, ob mit oder ohne Personen im Bild.

Micha Will
  .web: wi-ll.de
  .email: micha@wi-ll.de
  .instagram: @willrideforcoffee

4 Comments on “gastbeitrag: Micha Will – Street Facetten”

  1. Klasse Artikel Micha!
    Spannende Geschichte deinerseits und mir gefällt es wie du auf die Street Fotografie schaust und wie unterschiedlich du sie erlebst. Ich bin gespannt wo sie dich noch hinführt und wünsche dir weiterhin viel Freude dabei. Vielleicht sieht man sich ja sogar mal bei einem Walk. Liebe Grüße aus Frankfurt.

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